Zukunftsfähige Baumpflanzungen, vermeidbare Vegetationsschäden, wertvolles Praxiswissen aus Offenburg und Wasser in der Stadt

Dr. Markus Streckenbach, Diplom-Biologe und Sachverständiger für urbane Vegetation, Christine Andres, Dipl.-Ing (FH) Landespflege sowie Sachverständige, Wolfram Reinhard, B. Sc. Landschaftsarchitektur und Umweltplanung sowie Projektleiter Grünflächen und Umweltschutz bei der Stadt Offenburg und Raphael Benzkirch, M. Eng. Umweltingenieurwesen und Wasserspezialist vom Büro Henning Larsen, fesselten Landschaftsarchitekten, kommunale Entscheider und Ausführende mit ihren Erfahrungen sowie Erkenntnissen aus Forschung und Praxis. Bereits zum 18. Mal fand das „corthum-Wissen“-Fachseminar in Marxzell-Pfaffenrot auf dem Gelände des Erdenwerks im Nordschwarzwald statt.

Durch den Seminartag der ausgebuchten Fortbildung führte Johannes Prügl (Ingenieurbüro für Boden- und Vegetationstechnik, Au i. d. Hallertau) als Moderator. Tim Rohrer, Regionalvorsitzender im Verband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg e.V., betonte in seiner Begrüßung, dass die gesamte Branche vor großen Herausforderungen steht und fachkundige Partner wie corthum unglaublich wichtig sind, um diese unsicheren Zeiten gemeinsam zu meistern. Uwe Schönthaler, Paul Ruess und Nick Burkhardt begrüßten als Geschäftsführung die Teilnehmenden und freuten sich, erneut einen Tag voller geballter fachlicher Kompetenz bieten zu können.

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Überarbeitung der FLL-„Empfehlungen für Baumpflanzungen“

Dr. Markus Streckenbach, Sachverständigenbüro für urbane Vegetation in Bochum, referierte über die klimatischen Veränderungen und die hierdurch gestiegenen Anforderungen an Baumpflanzung in der Stadt. „Seit Mai 2022 läuft die Überarbeitung der FLL-„Empfehlungen für Baumpflanzungen“, die ich in leitender Funktion begleite. Zurzeit wird unter anderem intensiv diskutiert, die Teile 1 und 2 zusammenzuführen – da bei der Arbeit so gut wie immer beide Teile benötigt werden ­– und die „Empfehlungen“ womöglich in eine Richtlinie zu überführen“, schilderte Streckenbach. Die Überarbeitung soll auch dabei helfen, Anwendungsfehler in der Praxis weiter zu minimieren. „Auf der Baustelle liest niemand viel Text, genau das führt aber zu Fehlern bei der Umsetzung. Wir setzen deshalb auch auf eindeutigere Skizzen und Zeichnungen“, ergänzte Streckenbach.

Wurzeln benötigen Feuchtigkeit und Luft in möglichst lockeren Böden, wo sie auf Umgebungsreize reagieren und so ihre Wuchsrichtung festlegen. „Im stehenden Wasser sterben die Wurzeln der meisten Baumarten rasch ab“, führte Streckenbach aus. Zudem muss es den Bäumen ermöglicht werden, aus ihrer Pflanzgrube herauszuwachsen. Grenzt ein nur bedingt geeigneter Boden daran an, sollte dieser aufgearbeitet und verbessert werden – was erfahrungsgemäß aber äußerst selten passiert. „Um so auch Ressourcen zu schonen, ist eine Verbesserung durch Kiese für eine höhere Dränfähigkeit oder die Beimischung von Organik sowie bindigem Ton für eine bessere Wasserhaltefähigkeit möglich. Ein gesamter Austausch des anstehenden Bodens durch ein Substrat ist meist gar nicht erforderlich“, erläuterte Streckenbach, der weiter erklärte, dass eine Abbildung hierzu in den aktuellen FLL-Empfehlungen häufig nicht überdacht und daher oft falsch verstanden wird. Des Weiteren kommt es zu inhaltlichen Anpassungen an die veränderten Rahmenbedingungen für Baumpflanzungen, denn diese verschärfen sich insbesondere für Stadtbäume aufgrund zunehmender Hitze und Trockenheit immer weiter. „Besonders flachwurzelnde Arten wie Birken und Rotbuche leiden darunter und auch Jungbaumpflanzungen stehen zunehmend unter Druck“.

Das Thema „Baum-Rigolen“, das derzeit weder baumfachlich noch siedlungswasserwirtschaftlich oder straßentechnisch abgebildet ist, soll in dem überarbeiteten Regelwerk Erwähnung finden. „Das Ziel einer Schwammstadt, wie es mittlerweile von zahlreichen Kommunen verfolgt wird, beinhaltet den Gedanken Niederschläge vor Ort so zwischenzuspeichern, dass auch Bäume hiervon profitieren. Die Siedlungswasserwirtschaft fokussierte dabei bislang vor allem auf die Rigolen-Funktion eines Baumstandortes, was nicht immer mit den Bedürfnissen von darin wachsenden Bäumen in Einklang gebracht werden kann. Dabei liegt in der Nutzung unbelasteter Oberflächenabflüsse eine Chance zur Milderung von Dürreperioden, die Bäume stressen“, klärte Streckenbach auf. Aus seiner Sicht liegt das Geheimnis der Vorzeige-Schwammstadt Stockholm vor allem in den riesigen Pflanzräumen mit Flächenbelüftung durch Schächte sowie einer Kiesauflage, die für Wurzeln unattraktiv ist. Zudem werden weite Teile des Niederschlags den Pflanzen zugeführt, jeder Tropfen nach Möglichkeit versickert. „Wer die bekannte Skeletterde aus Stockholm nachbildet, muss diese zeitaufwendig einbauen, aber sonst funktioniert diese Bauweise nicht. Anderenfalls entstehen sehr leicht Hohlräume, was zu Sackungen führen kann. Die Einbauphase ist bei Baumsubstraten und SkeIetterden ein kritischer Moment. Fehler, die dabei unterlaufen – oft unter Zeitdruck – gefährden den Anwuchserfolg, konterkarieren die gewünschten Funktionen und sind nicht wieder zu beheben. Eine fachliche Begleitung dieser Phase ist immer anzuraten“, erklärte der Sachverständige, der es begrüßen würde, wenn diese Arbeiten künftig grundsätzlich vom Garten- und Landschaftsbau ausgeführt würden.

Als anwendungsorientierte Planungshilfe für die multifunktionale Straßenraumgestaltung urbaner Quartiere empfahl Streckenbach die Toolbox, ein Praxisleitfaden der aus dem BlueGreenStreets-Projekt der HafenCity Universität Hamburg (HCU) hervorgegangen ist. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieses Forschungsvorhabens ist die Absicht, dass die DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Wasser e.V.), die FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V.) und die FLL (Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V.) gemeinsam an diesem Thema dranbleiben. Die Diskussion um fachlich korrekte Ausführungen von Baumstandorten im Kontext mit der Regenwasserbewirtschaftung wird Gegenstand eines separaten fachübergreifenden Regelwerksausschusses sein. Große Chancen liegen dabei nicht zuletzt in der Anlage großvolumiger durchwurzelbarer Räume, die darin gepflanzten Bäumen über viele Jahrzehnte als Lebensgrundlage dienen. „Weil die Realisierung entsprechender Standorte auch finanziell mit einem hohen Aufwand einhergeht, müssen wir vom Baumfach dafür Sorge tragen, dass Fehlentwicklungen zu Lasten der Bäume den Erfolg solcher Anlagen nicht gefährden“, weiß Streckenbach aus eigener Erfahrung.

 

Vegetationstechnik – die häufigsten Fehler

Christine Andres ist Landschaftsgärtnerin, Dipl.-Ing (FH) Landespflege sowie öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für den GaLaBau und für die Gehölzwertermittlung. Zu ihrem Tätigkeitsbereich gehören auch die Bauabnahme und die Baubegleitung. Andres plädierte in ihrem Vortrag bei Planern und Ausführenden für mehr Achtsamkeit beim Umgang mit innerstädtischem Grün.

Eine neu erstellte Außenanlage mit schönem Pflanzkonzept und einer fast durchdachten Planung, entpuppte sich bei näherer Betrachtung aus dem Blickwinkel der Sachverständigen als problematisch: Die Bambusstäbe aus der Baumschule waren bei der Pflanzung der Bäume nicht entfernt worden und deren Anbindung teilweise eingewachsen. Die Baumverankerungen erfolgten ohne Stammschutz und verursachten Schäden an der Rinde, ein Stammschaden lag vermutlich bereits bei der Lieferung vor. „Dieser Baum hätte gar nicht gepflanzt werden dürfen. Auch blühende Gehölze und Stauden gehörten zum an sich schönen Konzept, doch leider dachte niemand an deren spätere Pflege oder eine Randeinfassung beim Gräserbeet“, ergänzte Andres. Selbst die Pflanzabstände schienen ohne Fachverstand gewählt, denn ein Baum berührte bereits nach dem dritten Standjahr die Fassade, was automatisch einen Schnitt zum „Baumkrüppel“ nach sich zieht. Teile der Rasenfläche waren von einer Hecke ohne Zugang umgeben, was den Einsatz eines Rasenmähers unmöglich machte. „So mancher gute Ansatz war nicht bis zum Ende gedacht und das Absterben der Bäume, der Grund für meine Beauftragung, ließ sich durch einen einfachen aber für alle Beteiligten eindrücklichen Wasserdurchlässigkeitsversuch auf Staunässe und eine verdichtete Bodenschicht zurückführen“, erklärte die Sachverständige.

„Die Achtsamkeit beim innerstädtischen Grün beginnt für mich mit einer sorgfältigen Planung, es benötigt Menschen mit Pflanzenkenntnissen und Bauleiter, die das Thema Baumschutz ernst nehmen“, beleuchtete Andres ihre Erfahrungen. Der Randstein muss in Deutschland für 100 Jahre gerade stehen doch wie sich der Baum in einer viel zu kleinen Baumgrube entwickelt, ist häufig immer noch egal. „Es gibt fast immer mehrere Lösungen, wenn bei städtischen Baumaßnahmen vermeintlich ein Baum im Weg steht und hierfür benötig es Fachkompetenz“, erläuterte Andres. Insgesamt hält sie den Termindruck im Garten- und Landschaftsbau für viel zu hoch. „Aufgrund der Bearbeitung viel zu nasser Böden ist die Bodenstruktur häufig für immer zerstört und zieht sehr teure Sanierungskonzepte nach sich. Hiermit ist niemandem geholfen“, zeigte Andres auf, die sehr häufig auf solche Schäden in ihrer Sachverständigenarbeit trifft. Somit steht für Andres an erster Stelle der Bodenschutz und die Bodenvorbereitung, inklusive der Entnahme einer Bodenprobe für den einfachen Ausrolltest zur Prüfung der Bearbeitung.

150.000 gepflanzte Sträucher als Straßenbegleitgrün mit einem über 25-prozentigen Ausfall nach dem ersten Jahr und Mängeln im Leistungsverzeichnis wurde trotz eines gefüllten Ordners mit Bedenken von Seiten des Gärtners, der lediglich für die Pflanzung und Fertigstellungspflege beauftragt war, durch den Auftraggeber nicht abgenommen. Nach einem weiteren Sommer war stellenweise über die Hälfte der Pflanzen abgestorben und eine Abnahme nicht in Sicht. Eine Bodenuntersuchung ergab, dass auf Schotterflächen ehemaliger Zufahrten und tonigen Sperrschichten lediglich 20 cm Oberboden aufgebracht worden war. Durch die Pflanzung mit dem Erdbohrer war dies nicht aufgefallen. Ein Anzuchtversuch zeigte, dass nicht der Oberboden, sondern eine unzureichende Bodenvorbereitung im Untergrund das Problem war. Deshalb rät Andres grundsätzlich die Bodenvorbereitung auf Großbaustellen zu hinterfragen und bei Baumstandorten nicht nur die Baumgrube, sondern auch die angrenzenden Flächen zu betrachten. Auch Substrate sind keine Allheilmittel, wenn der Untergrund nicht stimmt oder aber der Baum zu tief gepflanzt wurde, was laut Andres in über 50 Prozent aller Fälle passiert. „Das ist ein völlig unterschätztes Problem, denn die Bäume wachsen schlechter an und die wahren Schäden zeigen sich erst viel später. Der Wurzelhals muss deshalb immer sichtbar sein. Ein lagenweiser Einbau des Substrats, inklusive Andrücken (nicht verdichten!) oder aber eine Wartezeit von drei Monaten bis zur Pflanzung helfen, um den Setzungsfaktor von rund 30 Prozent zu minimieren. Zum Anbinden empfiehlt Andres bei Hochstämmen einen 3- oder 4-Bock und keine Unterflurverankerung, welche die Windlast in der Krone nicht minimiert, eher vorsichtig und mit Bedacht einzusetzen.

Standort und Baumart müssen grundsätzlich zusammen harmonieren und die Fertigstellungspflege ist fester Bestandteil der Ausschreibung von Baum- oder sonstigen Pflanzungen. „Wir haben so viele gute Regelwerke, Richtlinien und Vorgaben wie beispielsweise auch die Gütebestimmungen oder Baumschutzzäune, doch wir müssen sie auch anwenden“, riet Andres dringend.

 

„Baum-Perspektiven“ in Offenburg

Wolfram Reinhard, B.Sc. Landschaftsarchitektur und Umweltplanung, arbeitet in der Projektleitung des Fachbereichs Hochbau, Grünflächen und Umweltschutz der Stadt Offenburg. Dort ist er der zuständige Sachbearbeiter für das Themenfeld Baum. „Es war die Suche nach neuen Wegen, um die Folgen des Klimawandels für die Offenburger Stadtbäume abzumildern und deren Resilienz durch ein integriertes Baumquartiers- und Wassermanagement zu stärken, was uns zu diesem mit 150.000 Euro durch den Innovationsfond von badenova geförderten Projekt „baum2Og“ veranlasste“, eröffnete Reinhard. Es entstanden sieben Teilprojekte, darunter eine Machbarkeitsstudie zum Wasserhaushalt und zur Wasserbewirtschaftung, eine neue Bau(m)-Technik, in der die Anlage und der Aufbau der Baumquartiere festgeschrieben wird und die Sensorik für die notwendige Datenerhebung zur Überwachung. Des Weiteren zählten die Diversifizierung und Baumartenauswahl, das Monitoring, aber auch die Öffentlichkeitsarbeit sowie das Controlling inklusive Finanzen zu den Teilprojekten.

Insgesamt wurden 83 Potenzialprojekte vom Büro ARBOR revital auf ihre Machbarkeit überprüft. 33 davon – große, mittlere und kleine Standorte – wurden näher untersucht. 31 hatten genügend Potenzial für eine erfolgreiche Umsetzung. „Wir überprüften die Machbarkeit tatsächlich im Einzelfall, wägten Kosten und Nutzen ab und sprachen mit allen Beteiligten, um erfolgreich in die Umsetzungsphase zu starten“, erläuterte Reinhard. Dabei war es beispielsweise wichtig, dass die Gefällesituation passte, die Archivdaten von Bohrungen Aufschluss über die Bodensituation gaben und auch laut geologischer Untersuchungen das Vorhaben Erfolg versprach. Gleichzeitig wurden Hausabstände sowie Kellertiefen angrenzender Gebäude berücksichtigt, Altlasten oder blockierende Leitungsstränge und eine eventuelle Rückstauebene in den Bodenschichten einkalkuliert. Für den Projektzeitraum von baum2Og (2021 bis zum 4/2024) traf man eine Maßnahmenauswahl von sechs Projekten in Offenburg.

 

Einblicke in die einzelnen Projekte:

Die Altenburger Allee

Die Ahorne der Allee sahen gestresst aus, im Boden befand sich Elektroofenschlacke. Das Ziel dieser Sanierung war die unterirdische Erweiterung der Baumquartiere und die gleichzeitige Erschließung eines vergleichbaren Testfeldes für 18 Baumarten in Vierergruppen. Das Projekt wurde mit 1,3 Millionen Euro veranschlagt, wovon bereits eine Million Euro investiert ist. In allen Bauabschnitten gibt es Feuchtesensoren, im dritten Bauabschnitt wurde zusätzlich Pflanzenkohle als Zuschlagsstoff eingebracht. Über im Winter verriegelbare Durchlässe gelangt das Niederschlagswasser von der Straße in die Baumquartiere. „Die Entwicklung der Bäume seit der Fertigstellung im Mai 2020 verläuft erfreulich gut und macht die Altenburger Allee zu unserem Vorzeigeprojekt“, erläuterte Reinhard eindrücklich anhand von Fotos.

Waldbachfriedhof

„Unsere ursprüngliche Idee war, das Wasser des Kapellendachs direkt in die Quartiere einzuleiten, doch dies ließ sich aufgrund der schlechten Versickerungswerte nicht umsetzen“, beschrieb Reinhard. Nun fließt das Wasser in eine Zisterne und von dort – gesteuert durch Feuchtesensoren und eine automatische Baumbewässerung – in die Quartiere. „Die wassergebundene Wegedecke könnte der Grund sein, dass sich die Bäume hier nicht so top entwickelt haben“, meinte Reinhard.

Quartiersplatz Mühlbachareal

„Die Neugestaltung des Quartiersplatz vor der Alten Spinnerei ließ eine Regenwassernutzung aufgrund der Gefällesituation nicht zu“, erklärte Reinhard die Ausgangssituation dieses Projekts. Es wurde deshalb eine unterirdische bedarfsgesteuerte Bewässerung für die Neupflanzung inklusive Feuchtesensoren und Funksteuerung für rund 14.000 Euro verlegt. Bäume und Unterpflanzung entwickeln sich bislang hervorragend.

Schiller-Gymnasium

Auch hier stand Boden an, dessen Versickerungsleistung für ein direktes Einleiten des Dachwassers nicht ausreichte. Das Dachwasser gelangt nun oberirdisch in eine neu angelegte Pflanzmulde. Der anstehende Boden ist großflächig zur Rigole umgeformt und Überschusswasser wird in die Kanalisation eingeleitet. „Die Geländemodellierung, die mit ihren Erdbewegungen und dem Bodentausch der teuerste Posten war, bedurfte im Februar 2025 noch einer Nachbearbeitung, damit die Bäume vor Staunässe geschützt sind“, verriet der Projektleiter.

Humboldtstraße

Die Bestandsbäume waren in einem schlechten Zustand und der Wunsch nach der Erprobung neuer Möglichkeiten zur Standortoptimierung wurde laut. „Unsere Recherchen legten nahe, dass Pflanzenkohle positive Eigenschaften hinsichtlich der Wasserspeicherkapazität haben kann und so erklärten wir die Humboldtstraße zum Testfeld“, eröffnete Reinhard. Die bodenphysikalischen und chemischen Besonderheiten der Baumquartiere wurden zusammen mit Dr. Claudia Kammann (Justus-Liebig-Universität Gießen), Johannes Prügl (Bodeninstitut Prügl) und Jonas Dahllöf (Stadt Stockholm) abgestimmt, was zur Entwicklung von drei möglichen Varianten des Quartiersaufbaus in Absprache mit Torsten Bähr und Hubert Wernet (Technische Betriebe Offenburg) führte. Zudem ging es um Verbesserungen hinsichtlich Anforderungen und Bauweise von Baumquartieren, was zu folgenden drei Varianten führte: Variante 1, als Offenburger Standard betitelt, besteht aus mindestens 12 Kubikmeter durchwurzelbarem Raum mit Ober- und Untersubstrat nach FLL-Richtlinien für Baumpflanzungen, welches mit 30 Volumenprozent Lösslehm angereichert wurde. Der „Offenburger Standard Plus“ enthält 5 Volumenprozent aktivierte Pflanzenkohle im Baumsubstrat. Bei der dritten Variante „Offenburger Stockholm“ besteht der Unterbau aus einer Skelettbodenstruktur (100/150er Lavaschotter), welche mit einer Mischung aus Blähtonsand und Pflanzenkohle (50:50) eingeschlämmt wurde. „Die Pflanzenkohle schwamm beim Einschlämmen zuerst auf. Durch die Vibration einer Rüttelplatt rutschte die Mischung aber letztendlich doch in die Hohlräume“, schilderte Reinhard. Darauf folgt ein FLL-Baumsubstrat mit 10 Volumenprozent aktiver Pflanzenkohle. An je einem Wurzelballen der drei Varianten überprüfen Feuchtigkeitssensoren den Wasserhaushalt im Substrat. Beim „Offenburger Stockholm“ sitzt sogar je ein Sensor in 30, 60 und 90 Zentimeter Bodentiefe. „Die Entwicklung der Bäume wird zeigen, welche Variante in Offenburg die vielversprechendste ist“, so der Landschaftsarchitekt.

Ritterstraße

Die Ritterstraße ist ein beispielhafter Potenzialstandort in der Altstadt, bei welchem unterirdische Wurzelgräben die Baumquartiere miteinander verbinden. Das Einleiten des Dachwassers ist nicht möglich, da durch die Kapillarwirkung Schäden an der alten Bausubstanz nicht auszuschließen sind. „Alte Leitungen und Teile eines Gewölbekellers waren beim Bau die Überraschungen, die sich aber alle auf dem kurzen Dienstweg klären und lösen ließen“, verriet Reinhard. Die Ritterstraße ist mittlerweile eine der beliebtesten Baumaßnahmen in Offenburg und findet sehr viel Zuspruch von Seiten der Bewohner und Bürger.

Die letzte Maßnahme, mit einem Budget von 360.000 Euro ausgestattet, vergleicht zwei Gruppen von je 14 Bäumen an 28 Standorten, die in Offenburger Standardsubstrat und in Konzepterde gepflanzt wurden. „Hier erhoffen wir uns Auskünfte über die unterschiedliche Wasserspeicherkapazität und die nutzbare Feldkapazität der Substrate“, erklärte Reinhard.

Im Stadtgebiet von Offenburg sind die tieferen Bodenschichten häufig nicht für eine Versickerung geeignet. Der Einsatz automatischer Bewässerungstechnik sieht bislang vielversprechend aus, weitere Erfolge offenbart hoffentlich das Langzeitmonitoring. Die Liste mit 201 Baumarten, die nebst einer Aussage zur Eignung des Einsatzes jeder Baumart im Stadtgebiet auch Informationen über die Größe, einen Steckbrief und Hinweise zum Einsatz enthält, zeigt bereits ihre Vorteile, denn sie beugt kompletten Ausfallsituationen, wie sie zurzeit an Sorbus-Arten vorkommen, vor. Das Netz für die Datenströme funktioniert und das Büro ARBOR revital erarbeitet auf dieser Grundlage eine Gießempfehlung, die aufgrund der bislang nicht ausreichenden Datenmenge noch nicht auf den gesamten Baumbestand übertragbar ist. Dieses Jahr werden die Angestellten der Technischen Betriebe und der Stadt Offenburg darin geschult, die Daten zukünftig selbst auszuwerten. Die „Toolbox“ für Offenburg ist somit fertig und dient ab jetzt als Handreichung für zukünftige Baum-Projekte.

 

Die wasserbewusste Stadt

Raphael Benzkirch, M. Eng. Umweltingenieurwesen vom Planungsbüro Henning Larsen (Ramboll Group, ehemals Atelier Dreiseitl) in Überlingen, referierte über Wasser und Stadtgrün als Bausteine der naturbasierten Klimaanpassung. „Von der Natur lernen und das Schöne und Lebenswerte mit der Technik verbinden, ist die Grundlage für eine wasserbewusste Stadtentwicklung“, führte Benzkirch in das Thema ein. „Wir müssen uns dem natürlichen Wasserhaushalt annähern, dürfen dabei aber die Überflutungssicherheit nicht außer Acht lassen und sollten dennoch die Nachhaltigkeit und Multifunktionalität in unserer Planung mitdenken“, schilderte Benzkirch die Herausforderungen. Stadthydrologie, Umwelttechnik, Städtebau und Landschaftsarchitektur arbeiten deshalb bei diesen grün-blauen Szenarien Hand in Hand. „Unser Fokus liegt dabei auf einer wassersensiblen Stadtgestaltung mit einem naturnahem Wassermanagement, das mehr Ökologie und ein besseres Mikroklima sowie eine höhere Aufenthaltsqualität und mehr Biodiversität einschließt. Das Dienstleistungsangebot für Städte und Kommunen umfasst alle notwendigen Maßnahmen, von der Risikoanalyse über Handlungskonzepte, strategische Masterpläne, integrierte Maßnahmenpläne bis hin zur Bauleitplanung inklusive der Umsetzung“, zeigte Benzkirch auf. Dabei ist der schwierigste Schritt, alle Planungspartner an einen Tisch zu bekommen und gemeinsam Lösungen zu finden. „Workshops sind immer ein guter Einstieg in die Entwicklung neuer Quartiere, denen grundsätzlich das Schwammstadt-Prinzip zugrunde gelegt wird. Auch die Bürger können ihre Ideen einbringen und so entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, welches sehr wichtig für das Vorankommen eines Projekts ist“, beschreibt der Umweltingenieur.

In Kopenhagen gab es bereits vor dem 2. Juli 2011 viele Ideen und Klimaanpassungsstrategien, aber keinen konkreten Masterplan. 800 Millionen Euro als Schadenssumme durch 150 Millimeter Niederschlag in zwei Stunden führten nicht nur zu einer hohen politischen Aufmerksamkeit, sondern auch schnell zu konkreten Maßnahmen, wie beispielsweise Gesetzesänderungen für neue Finanzierungsmechanismen eines Überflutungsmanagements an der Oberfläche. Es entstanden Wolkenbruchkorridore, indem die Straßen als V-Profile angelegt wurden. 30 Prozent des Regenwassers werden mittlerweile durch die topografische Um- oder Neugestaltung von Parks und Grünflächen oder beispielsweise auch durch Retentionsfläche in Innenhöfen abgekoppelt. Vorhandene Freiräume übernehmen somit eine wichtige Doppelfunktion. Die Trinkwasserspeicher der Stadt Kopenhagen wurden zwei Meter tiefer gelegt, was einen Uferbereich mit mehr Stadtraumqualität entstehen ließ. „Hierfür benötigte es zwingend diesen strategischen Masterplan, der alle Beteiligten ins Tun brachte“, erläuterte Benzkirch.

Ein schönes Beispiel in kleinerer Dimension gibt es in Winnenden mit den Arkadien. Hier wurde aus einem vollversiegelten Industriestandort ein wasserbewusstes Wohnquartier. Das Regenwasser wird zu 100 Prozent auf natürliche Weise oberflächennah in Straßen- und Freiflächen bewirtschaftet. Querrinnen und Borsteinrinnen führen das Wasser zur öffentlichen Pflasterrinne. Zwei Naturteiche speichern das Regenwasser und übernehmen eine wichtige Retentionsfunktion, indem sie das Wasser gedrosselt in den renaturierten Zipfelbach eingeleiten. So entstanden kleine Seen in der Stadt, mit privaten Zugängen für die Bewohner. Ein weiterer Regenwasserrückhalt erfolgt durch eine multifunktionale Grünfuge, die mit einem Notüberlauf in den Zipfelbach ausgestattet ist.

Die Arkadien in Dornstadt bei Ulm entstanden 2022 auf dem ehemaligen Gelände einer Fensterfabrik. Der zentrale See mit Flachwasserzone dient gleichzeitig als großer Regenspeicher, welcher das Wasser gedrosselt abgibt. Stege erlauben die Nutzung der Wasserfläche und ein „Hoppla-Stein“ signalisiert den Übergang von der Flachwasserzone in die Tiefenzone. Ein Wasserspielplatz sowie eine Brücke machen daraus einen Erlebnis-See, der die Lebensqualität für die umliegenden Wohnquartiere erhöht. Die oberflächennahe Regenwasserführung im Quartier sorgt auch dort für eine hohe Aufenthaltsqualität.

Der Zollhallenplatz in Freiburg erfuhr eine Transformation vom Güterbahnhof zum attraktiven abflusslosen Stadtplatz. Es entstanden Baumhaine, der recycelte Natursteinbelag ist versickerungsfähig verlegt und dort wo das Wasser nach dem Regen stehen bleibt, wurden bewusst Vertiefungen geschaffen, die dazu einladen, die Ressource Wasser spielerisch zu erleben. Die Bänke besitzen die Form der alten Prallblöcke und durch die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung mit Zisternen, durchlässigem Pflaster und Rigolenboxen mit Filterschichten konnte der gesamte Platz ohne Überlauf in den Kanal gestaltet werden, was die Grundwasserneubildung und die Verdunstung fördert.