16. corthum-Fachseminar 2023

Am 8. Februar 2023 fand nach zwei Jahren Zwangspause das 16. corthum-Fachseminar in Marxzell-Pfaffenrot mit rund 90 Teilnehmern statt. Landschaftsarchitekten, kommunale Entscheider und einige ausführende Betriebe informierten sich über wirksame grün-blaue Abkühlungsstrategien in unseren Städten. Dr. Bernhard Scharf widmete sich seinem wissenschaftlichen Spezialgebiet, dem Einsatz von Fassadenbegrünungen. Tom Kirsten referierte über Versuche zur Regenwasserbewirtschaftung am Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Dresden Pillnitz. Florian Pietsch vom Grünflächenamt in Esslingen zeigte, wie in der Praxis die Planung, Pflanzung und Pflege von Stadtbäumen in Esslingen gemanagt werden.

Das Interesse am mittlerweile 16. corthum-Fachseminar war riesig. Dennoch sollte der gewohnt familiäre Rahmen dieser Veranstaltung beibehalten werden. „Wir schätzen den persönlichen Kontakt zu unseren Gästen und haben uns in diesem Jahr deshalb dazu durchgerungen, nur noch 90 Personen zuzulassen“, erklärt Uwe Schönthaler, der froh ist, die traditionelle Seminarreihe nun in 2023 fortführen zu können. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Nick Burckhardt eröffnete er die Veranstaltung. Philipp Erhardt, Vorstand Markt und Wirtschaft im Verband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg e.V., betonte in seinem Grußwort, dass er für den Garten- und Landschaftsbau viele neue Aufträge im Dienstleistungsbereich des Klimawandels sieht. „Zusammen mit den Landschaftsarchitekten müssen wir dieses gewaltige Wachstumspotenzial als Vordenker und Vorreiter für uns sichern. Wir haben die Kompetenz Grün und Blau zu bauen, um unsere Städte lebenswert zu erhalten“, erklärt Erhardt. Die Moderation der Veranstaltung übernahm Johannes Prügl, vom gleichnamigen Bodeninstitut in Au in der Hallertau. Mit seiner hinterfragenden Art entlockte er als Fachmann für Böden den Referenten während der Diskussionen zusam-men mit dem Publikum noch weiteres spezifische Fachwissen.

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Neue Ansätze zur Regenwasserbewirtschaftung

Tom Kirsten ist Landschaftsarchitekt und ö.b.v. Sachverständiger für Garten- und Landschaftsbau. Im Jahr 2018 nahm er seine Versuchs- und Lehrtätigkeit beim sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Dresden Pillnitz auf. „Wir können die Versuchsarbeit für neue Ansätze in der Regenwasserbewirtschaftung nicht den Städten überlassen, hier müssen die Landesanstalten den wichtigen Praxispart übernehmen, denn es gilt ja auch bestehende Regelwerke zu beachten“, erläutert Kirsten, der Mitglied in einigen Regelwerksausschüssen ist. So kann er seine aktuellen Versuchsergebnisse und Erfahrung einbringen.

Im visualisierten Klimaplan der Stadt Hamburg aus dem Jahr 2015 wird das Zusammenwirken von PV-Anlagen, Biodiversitätsdächern, Regenwassernutzung, Baumrigolen, Grünflächen usw. als einfaches Zusammenspiel dargestellt, doch das ist es keineswegs. In vielen Bereichen fehlen noch Erfahrung und aktuelle Regelwerke, weshalb zurzeit die FLL Baumpflanzung 2, das Regelwerk der FLL für Versickerungsmulden und auch das DWA-Merkblatt M 194 für multifunktionale Flächen überarbeitet werden. „Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser dürfen mit allen Arten von Pflanzen versehen werden“, verrät Kirsten schon vorab. Die Abläufe, bis die Regelwerke an den Start gehen, dauern auch ihm häufig zu lange, aber Versuchswesen und Erfahrungswerte brauchen eben ihre Zeit.

Versickerungsmulden

Bei einer Wasserdurchlässigkeit von 10-3 bis 10-6 m/s (kf-Wert) staut sich im Regelbetrieb kein Wasser in Mulden an, denn diese Böden sind noch gut durchlässig. Ab einem Wert von 10-6 spricht man nur noch von schwach durchlässigen Böden. „Mulden mit dieser Wasserdurchlässigkeit und einer Höhe von 30 Zentimeter benötigen dann tatsächlich rund dreieinhalb Tage, bis sie nach Niederschlägen trockenfallen. Durch den Oberbodenspeichereffekt, gepaart mit einigermaßen durchlässigen Böden staut sich in Mulden kaum Wasser, was bei der Pflanzenauswahl entsprechend zu berücksichtigen ist“, erläutert Kirsten. So ist es dann beispielsweise auch im Tiefbeet des Schlossparkplatzes in Dresden-Pillnitz: Über einen Einlauf gelangt das Oberflächenwasser der versiegelten Parkplätze in die Mulde, die über einen Notüberlauf in ein Gewässer verfügt. Im Sommer bilden sich durch die Trockenheit oft Risse am Rand des Tiefbeets. Kommen dann Niederschläge, besteht die Gefahr, dass das Wasser ungefiltert in das nachgelagerte Gewässer abfließt. „Das war zumindest immer die Befürchtung. Heute ist man weiter und weiß vor allem dank der Forschung von Prof. Dr. Ing. Mathias Kaiser an der TU Dortmund (Lehrstuhl Ressourcen- und Energiesysteme, Abteilungsleitung Wassersysteme), dass sich nur direkt am Einlauf Schadstoffe in den Bodenproben nachweisen lassen. Alle anderen gezogenen Proben bei diesen Muldensystemen waren weitaus weniger verunreinigt. Dieses Wissen macht die Kommunen offener für solche Technologien“, freut sich Kirsten.

Sportplatzbau und Regenwassermanagement

„In Dresden galt es einen Sportplatz zu sanieren und unser Büro bekam den Planungsauftrag. Der Platz hatte ein leichtes Linksgefälle und das Regenwasser staute sich dort regelmäßig über eine bis drei Wochen. Meine Planungsidee war, den Platz leicht anzuheben und das Wasser über Drainagepackungen aus Kies in offene Mulden abzuleiten. Damals bekamen wir hierfür keine Genehmigung, da die Kommune Altlasten im Untergrund befürchtete und die Wasserdurchlässigkeit des Bodens nicht ausreichte. Somit war dies Art der Sanierung leider nicht möglich. Der Anschluss an das Kanalnetz hat 40.000 Euro gekostet“, berichtet Kirsten im Rückblick. „Heute hätten wir dafür andere Lösungen, da wir gelernt haben mit Regenwasser umzugehen und es nicht einfach abzuführen. Dieser Fall war damals der Anlass, einen Forschungsantrag für eine Versuchsanlage mit Kunstrasen zu stellen“, erläutert der Experte. Im Dezember 2021 starteten deshalb die ersten Versuche in Dresden auf vier Flächen mit 6 x 5 Meter Grundfläche. „In drei Feldern ersetzten wir die üblichen Dränrohre durch unterschiedlich dimensionierte Sicherpackungen aus Kies, die in der Lage waren, Starkregen aufzunehmen. Das vierte Feld wurde als Vergleichsfläche in der herkömmlichen Bauweise mit Dränsträngen und Entwässerungsschacht gebaut. Der anstehende Versuchsboden war ein sandiger Schluff und nicht optimal für die Versickerung, aber gut für die Versuche geeignet, denn die Ergebnisse gelten dann auf jeden Fall für durchlässigere Böden“, erläutert Kirsten. Mobile Regner ließen 70 Liter pro Quadratmeter in zwei Stunden auf den Kunstrasen regnen, also eine mit Starkregen vergleichbare Menge. Ab 30 bis 45 Minuten nach Versuchsbeginn erfolgte die Messung, wie viel Wasser in den unterschiedlich dimensionierten Sickerpackung ankam, um den Abflussbeiwert des Versuchsaufbaus zu bestimmen. Dieser lag bei 0,09 bis 0,17. Bis dato gehen DIN-Normen von 0,3 bis 0,6 aus. Die neuen Forschungen zeigen, dass selbst für bindige Böden ein Abflussbeiwert von 0,1 anzusetzen ist. Das bedeutet, man muss sich nur um 10 Prozent des Regenwassers in der Sickerpackung kümmern, den Rest nimmt der Aufbau des Platzes auf. „Als ausreichend dimensioniert stellten sich die 40 Zentimeter hohen und 50 Zentimeter breiten Sickerpackungen mit einem Abstand von sechs Metern heraus. Die Ergebnisse der Studie werden in der Schriftenreihe des Sächsischen Landesamts Dresden veröffentlich“, freut sich Kristen.

Baumrigolen

Als „DIE“ Lösung für gestresste Stadtbäume, werden derzeit Baumrigolen gehandelt. Ziel ist es, die Bäume in heißen Sommern besser mit Wasser zu versorgen. Doch praxistaugliche Erfahrungen für die Bauweise und dafür taugliche Baumarten gibt es kaum. „Das war der Grund, warum ich auf meiner „Spielwiese“ beim Sächsischen Landesamt 36 Baumstandorte mit vier Baum-Arten (Alnus spaethii, Ulmus-Hybriden ‘New Horizhon‘, Carpinus betulus ’Lucas‘ und Gleditsia triacanthos ’Skyline‘), drei unterschiedlichen Bauweisen mit je drei Wiederholungen aufbauen ließ“, erklärt Kirsten.14 Kubikmeter durchwurzelbaren Raum bieten alle Rigolen. Die Bauweise A ist unten nicht abgedichtet, hier soll nachgewiesen werden, dass Baumsubstrat über einen Reinigungseffekt verfügt. Bauweise B besitzt an der Sohle eine Bentonit-Abdichtung, eine Versickerung funktioniert nur über die seitlichen Randbereiche. Bauweise C besitzt einen Kapillarblock aus Lehm. Alle Rigolen sind mit grobem Schotter im tiefen Bereich und darüber mit FLL-Baumsubstrat befüllt, einen Überlauf gibt es nicht. Geklärt werden soll mit diesem Versuchsaufbau vor allem, ob abgedichtete Bodenwannen einen vegetationstechnischen Mehrwert liefern und ob sich die hohe Bodenfeuchte in abgedichteten Baumgruben positiv oder negativ auswirkt.  Mit zunehmendem Wachstum der Bäume wird des Weiteren ermittelt, wie viel Wasser diese aus den Rigolen verdunsten und ob Verunreinigungen im Abfluss des Niederschlagswassers zurückgehalten werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass weitere Versuchsfragen anstehen – beispielsweise, welche Einzugsgebiete an Baumrigolen angeschlossen werden können, ohne den Pflanzen zu schaden. Dabei messen Dendrometer mit Datenloggern die wichtigen Werte. „Im Jahr 2021, welches ein durchschnittliches Jahr war, gab es nur ein Regenereignis, welches zu gefüllten Rigolen führte. Wenn die Rigole unten nicht abgedichtet ist, dann ist sie eher ein Trockenstandort. Besitzt sie sogar noch eine Drainage, wird es noch extremer“, verrät Kirsten schon jetzt die ersten Ergebnisse, die im eigenen Bodenlabor und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst ausgewertet werden. Für den Versuch sind 15 Jahren Laufzeit vorgesehen.

Verdunstungsbeete

Diese Bauweisen haben zum Ziel, in Hitzeperioden möglichst viel Wasser über den ständig feuchten Boden zu verdunsten und für Kühlung zu sorgen. Dabei muss das Regenwasser über einen langen Zeitraum zur Verfügung stehen. Es gilt also eine bauliche Umsetzung zu entwickeln, die Wasser speichert, wenn es da ist und in Trockenzeiten zur Verfügung stellt. Zurzeit laufen Planungen für das Schumacher Quartier auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. Ziel ist es, das gesamte Stadtquartier abflusslos zu bauen. Die Kombination von Verdunstungsbeeten und Baumrigolen als Kaskadenkombination ist die Idee für die Rudolfstraße im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Zu klären sind die Dauer der Wasserverfügbarkeit und somit die Tiefe der Beete, die optimalen Substrate und die passende Pflanzenauswahl für solche Standorte. „Das waren dann auch die leitende Versuchsfrage für den Aufbau unserer Beete in Pillnitz. Wir entschieden uns für vier Aufbauten, die wir für eine statistisch repräsentative Auswertung in vierfacher Ausführung bauten. Die Beete sind alle vollständig abgedichtet, geflutet wird oberirdisch mit Brunnenwasser. Die Pflanzung besteht aus einer Kombination von Arten und Sorten, um Totalausfälle zu vermeiden“, erläutert der Sachverständige, der selbst gespannt ist auf die Auswertungen. „In Berlin ist es bereits seit 2021 untersagt, Niederschlagswasser bei Neuerschließungen in den Kanal abzuleiten. Das ist eine Entwicklung, die sich bundesweit fortsetzt, die Prioritäten verschieben sich, aber bis es überall ankommt wird noch einiges an Zeit vergehen“, ergänzt Kirsten.

Versuchsanlage in Dresden-Pillnitz

5.000 Quadratmeter Versuchsfläche stehen Tom Kirsten für seinen Versuchsideen zur Regenwasserbewirtschaftung zur Verfügung. Die Ergebnisse der Regengärten, die zum Thema Mulden und Muldenrigolen mit verschiedenen Substraten und vier handelsüblichen Staudenmischungen für trockene Standorte bepflanzt worden sind, werden nach und nach veröffentlicht. Kirsten hält sehr viel davon, einschlägige Experten von Anfang an in die Versuchsarbeit einzubinden, weshalb er in der Regel mit verschiedenen Institutionen zusammenarbeitet.

Straßenbäume am Beispiel der Stadt Esslingen

Florian Pietsch, Meister im Garten- und Landschaftsbau sowie Fachagrarwirt Baumpflege, ist für das Freiflächenmanagement im Grünflächenamt in Esslingen am Neckar zuständig. Pietsch managt unter anderem die Baumpflege, Neupflanzungen sowie die Auswahl der Baumarten. 28.000 zu betreuende Bäume, 12.000 davon als Straßenbäume und 150 bis 200 Neupflanzungen im Jahr, so lesen sich die lebenden Fakten dieses Jobs.

„Viele unserer Straßenbäume leiden vermehrt unter Trockenstress und Strahlungshitze. So gehen die Kastanien, die auch noch durch die Miniermotte geschädigt werden, bereits im Juni in den Herbst. Das Ziel in Esslingen ist, die Baumstandorte so zu etablieren, dass die Lebenszeit der Bäume auf mindestens 50 Jahre steigt, weshalb gute Planung notwendig ist“, erläutert Pietsch. Esslingen liegt im Neckartal, besitzt geografisch eine ähnliche Kessellage wie Stuttgart und auch hier nimmt die Sommertrockenheit zu. „Wenn es um die Standortwahl geht, schauen wir uns das Umfeld genau an: Ist die Lage exponiert, wie sieht es mit der Sonneneinstrahlung aus, wie viel Platz hat die Krone? Müssen wir Fruchtfall, wie beispielsweise bei der Kastanie, beachten? Begrenzen uns Oberleitungen in der Artenauswahl? Gibt es ein Lichtraumprofil zu beachten? Was passt zur Architektur? Das alles gilt es anfangs zu klären und erst dann geht es an die Auswahl der Baumart“, zählt Pietsch auf, der immer mal wieder mit verschiedenen Größen und Güten experimentiert. Für die verschiedenen Standorte in der Stadt entwickelte er exakte Regelschritte für Planer und Ausführende. „Ich kontrolliere den Bau der Baumgruben, nehme den Aushub ab und lasse häufig tiefer als die ausgehobenen 1,5 Meter graben oder bohren, damit wir Staunässe vermeiden. Im Bereich des Planums gibt es eine Unterbau-Verdichtung von lediglich 45 NM/q, die von uns abgenommen wird“, erläutert Pietsch.

In Esslingen haben sich das Tiefbauamt, das Baurechtsamt und das Stadtplanungsamt an einen Tisch gesetzt und beraten, wo sich noch Baumstandorte umsetzen lassen. „Stadtplanungsprojekte aus den 80er Jahren sowie bestehende Bebauungspläne zeigten da jede Menge Möglichkeiten, denn häufig war das Budget für die Bäume damals nicht mehr vorhanden“, zeigt Pietsch auf. Bevor der Bagger für die Baumgrube kommt, sind die Leitungsführungen überprüft und auch die Aufstellflächen für die Feuerwehr berücksichtigt. „Wir machen den Standort immer sehr großzügig auf und lassen tief ausheben. Die Baumpflanzerde kommt dann auf das mit speziellem Baumsubstrat verbesserte Planum. Jeder Baum erhält eine Randeinfassung von in der Regel 4 x 2 Meter, was der Größe eines PKW-Stellplatzes entspricht.

„Den“ Klimabaum gibt es aus seiner Sicht nicht. Wurde der Standort tatsächlich im Vorfeld aus allen möglichen Blickwinkeln betrachtet, muss ein Baum ausgewählt werden, der es schafft, die am Standort gegebenen Umstände und Einwirkungen, wie Hitze, Trockenheit, enger Wurzelraum, usw. zu überstehen. Die GALK-Straßenbaumliste oder die daraus zusammen mit dem Bund deutscher Baumschulen hervorgegangene Veröffentlichung der „Zukunftsbäume für die Stadt“ (www.galk.de/arbeitskreise/stadtbaeume/themenuebersicht/zukunftsbaeume-fuer-die-stadt,Verwendungsanfragen unter: ) hält Pietsch für gut geeignet.

Baumqualität und Pflanzung

Die Bäume für Esslingen sucht Pietsch in den Baumschulen persönlich aus. „Ungesehene Bestellungen gibt es bei uns nicht, denn wir legen Wert auf beste Qualität, hierzu gehören auch die arttypische Erziehung und ein kerzengerader Stamm, vor allem bei Alleebäumen“, so Pietsch. Bei der Pflanzung legt er Wert darauf, dass das Hauptgewicht des Baumes am Ballen hängt und nicht an der Schlinge, was die Leitgefäße am Stamm schädigen könnte und zu einer Wachstumsverzögerung führt. „Ab einem Stammumfang von 30-35 Zentimeter verzichten wir auf eine Anbindung. Der Ballen ist so schwer, dass wir hier mit einem Pflanzschnitt gegen die Windlast auskommen“, führt Pietsch aus. Bei kleineren Dimensionen erfolgt die Anbindung nur noch über den Zweibock und dies lediglich für zwei Jahre. „Wir bauen die Baumpfähle im offenen Loch ein, um den Ballen zu schonen und öffnen diesen zudem. Außerdem schreiben wir in unseren beschränkten Ausschreibungen ins Leistungsverzeichnis, die Ballen mindestens fünf Zentimeter höher einzubauen. „Der ehemalige Verkaufsleiter der Baumschule Lappen, Karl-Heinz Heydhausen, sagte einmal zu mir: „Die Wurzeln müssen das Läuten der Mittagsglocke hören.“ Damit fahren wir gut, denn selbst beim lageweisen Einbau des FLL-Baumsubstrats, das verdichtet und bis zur Sättigung gewässert wird, tritt noch Sackung auf.“

Baumschnitt

„In Esslingen bekommt jeder neu gepflanzte Baum einen Pflanzschnitt, mit welchem wir gleichzeitig das Lichtraumprofil anlegen und die Terminale deutlich freilegen. Konkurrenztriebe werden entfernt, ebenso hängendes Holz. In der Folge schneiden wir noch zwei Mal nach. Meine Beobachtungen zeigen, dass wir damit auch eine schnelle Vergreisung verhindern.“ Die Neupflanzung in der Stadt ist mit der Verpflanzung in der Baumschule gleichzusetzen, was heißt, es gilt einen Pflanzschock zu überwinden, weshalb beste Bedingungen geschaffen werden sollten, damit der Baum nicht „verhockt“, wie der Schwabe sagt.

Weitere Tipps

Baumbeete sind in der Stadt durch Überlaufen, Fahrräder, Mülleimer, usw. stark belastet. „Von der Verwendung der Baumsäcke sind wir wegen der ständigen Feuchtigkeit über dem Wurzelballen abgekommen. Mittlerweile verwenden wir Kunststoffgießränder, die wir eingraben und später wiederverwenden. Seit Jahren schützen wir Neupflanzungen am Stamm durch einen weißen Anstrich, außer Eichen mit ihrer borkigen Rinde oder Birken und Platanen, die sowieso weiße oder helle Stämme besitzen. Der Anstrich platzt über die Jahre ab, so kann sich der Baum langsam an die Sonneneinstrahlung gewöhnen. Bereits in der Baumschule werden die Himmelsrichtungen des Standorts gekennzeichnet, auch das hilft gegen Frostrisse. In Esslingen planen wir mit einer Anwachspflege von fünf Jahren, das ist essenziell für eine lange Lebensdauer. 6 bis 10 Gießgänge pro Jahr mit 150 bis 300 Liter, je nach Größe, sind vorgesehen. Die Abnabelung findet langsam durch verringerte Wassermengen statt, wir wollen den Baum ja ans Grundwasser bringen. Gedüngt wird im Austrieb und im Juni folgt noch eine Kopfdüngung. Zurzeit haben wir sechs Gießwägen, die wir noch mit Trinkwasser betreiben, aber eventuell ergibt sich hier eine nachhaltigere Lösung durch Wasser aus Filterrückspülungen bei Schwimmbädern oder aus alten Quellkammern“, verrät Pietsch.

In der anschließenden Diskussion stellte sich heraus, dass viele der anwesenden Landschaftsarchitekten froh sind, wenn sie Platz für Baumgruben von 12 Kubikmeter bekommen. Die von Johannes Prügl vorgeschlagene Erhöhung auf 24 Kubikmeter in der neuen FLL-Richtlinie stieß auf wenig Freude.

Fassadenbegrünungen mindern Überhitzung

Dr. Bernhard Scharf forscht und lehrt an der Universität für Bodenkultur in Wien. Eines seiner Spezialgebiete ist die Fassadenbegrünung als wichtiges Element der Stadtklimaanpassung.

„Im Moment fahren wir mit der Erderwärmung nach wie vor im Worst-Case-Szenario und werden in Europas Städten durch die kontinentale Lage bei einer Erwärmung um rund 8° Celsius im Jahr 2.100 landen“, macht Scharf zu Anfang deutlich. Hinzu kommt alle eineinhalb Jahre eine heutige 50-jährige Hitzewelle. Mit jedem Grad Celsius mehr erhöht sich die Luftfeuchtigkeit um sieben Prozent. Das wird schwülwarm, auch wenn der Regen insgesamt abnimmt und die Dürren zunehmen. Überschwemmungen durch Starkregenereignisse sind weitere Folgen, Tornados gibt es bereits heute vereinzelt in Deutschland und in Österreich. Für Wien wurden in Simulationsmodellen 7,6° Celsius mehr Spitzentemperatur bis 2050 errechnet, das wären dann bis zu 45° Celsius im Schatten. Ab 41° Celsius und einer Luftfeuchte von 100 Prozent ist der Mensch nicht mehr lebensfähig, da Kühlung durch Schwitzen nicht mehr stattfindet. Das bedeutet, es wird unbewohnbare Gebiete, Millionen von Klimaflüchtlingen und überhitzte Städte geben. „50 bis 60 Tropennächte im Jahr sind die Zukunft, 39 bis 40 Hitzetage werden für Wien erwartet, die österreichischen Gletscher sind bereits alle verloren“, skizziert Scharf zu Anfang unsere Klimakrise.

Klimawandelfolgen

Unsere Städte sind das Habitat der Menschen, der Hauptsiedlungsraum. Dieser urbane Lebensraum ist jedoch fast komplett versiegelt, verfügt meist nur über eine mangelnde Durchlüftung und zu wenig Schatten, was bereits jetzt zu Übersterblichkeit durch Hitz führt. Besonders mineralische Oberflächen wie Beton und Asphalt, aber auch Autos erwärmen sich im Sommer auf teils über 70° Celsius und geben diese Hitze an die Umgebung ab. Die Oberflächentemperatur von Pflanzen liegt dagegen im Bereich der Lufttemperatur oder sogar darunter. „Für uns Menschen ist dabei die individuell gefühlte Temperatur wichtig. Diese lässt sich mit Hilfe des thermischen Wirkungskomplexes berechnen, in welchen Wind, Luftfeuchte, Sonneneinstrahlung und noch einiges mehr hineinspielen“, erklärt Scharf. Diese „Wohlfühlparameter“ sollten deshalb auch für die Umgestaltung der Städte berücksichtigt werden.

Die Arten der Fassadenbegrünung

Um Hausfassaden zu begrünen, gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten. Die alten Klassiker sind bodengebundene Selbstklimmer wie Efeu oder der dreiblättrige Wilde Wein sowie bodengebundene Kletterpflanzen, die Rank- oder Kletterhilfen benötigen, wie beispielsweise der Blauregen. Moderne Begrünungstechniken machen mittlerweile troggebundene Systeme für Gehölze möglich, wie das berühmte Beispiel des Bosco Verticale, zwei Hochhäuser mit 860 Bäumen in Mailand, zeigt. „Hier handelt es sich immer noch um punktuelle Begrünungen“, erläutert Scharf. Mit troggebundenen Kletterpflanzen, die sich am Maschendraht hochranken, gelingen bereits seit Langem grüne Fassaden. Wandgebundene Systeme arbeiten dagegen mit Stauden und sind flächige Konstruktionen an der gesamten Fassade. Inzwischen gibt es am Markt flächige, lineare und modulare Systeme, die mit vorkultivierten Kassetten arbeiten. „Wir beobachten zurzeit, dass sich diese modulare Art der Fassadenbegrünung immer mehr durchsetzt“, erläutert der Experte.

Wie wirken Fassadenbegrünungen?

Pflanzen reflektieren die Sonne und speichern wenig Wärme. Sie produzieren mit Licht und CO2 durch die Photosynthese wichtigen Sauerstoff und verdunsten Wasser, welches zur Kühlung der Umgebung beiträgt. Dieses Phänomen nennt sich latenter Wärmestrom und ist über Luftfeuchtesensormessungen nachweisbar. Eine begrünte Fassade hat eine bis zu 5° Celsius niedrigere Temperatur als das Thermometer der Klimastation. Somit sind Fassadenbegrünungen lebendige Klimaanlagen. Errechnet man die Stromkosten für die alternativ benötigten Klimageräte (66,54 Stück = 712,26 kWh à 0,16 €/kWh = 113,96 €) für die am Haus „Die 48er“ in Wien installierte grüne Musterfassade auf 850 Quadratmeter und setzt hierzu die benötigte Wassermenge (3.000 Liter à 1,86 €/m3 in Wien = 5,58 €) für die Fassadenbegrünung in Relation, ergibt sich eine beeindruckende monetäre Differenz von über 98 Euro am Tag, die deutlich für das Grün an der Wand spricht. „Doch das ist nicht der einzige Effekt. Auch die Lebenszeit von Fassaden wird durch Begrünungen verlängert. Eine weiße Putzfassade erwärmt sich im Sommer auf bis zu 60° Celsius. Das sind extreme Schwankungen über das Jahr für die Materialien, die eine Begrünung abpuffert. Hinzu kommt die Dämmwirkung: im Sommer gegen die Hitze, im Winter gegen die Kälte und die Zahlen für die relative Verbesserung sind für beide Jahreszeiten fast gleich“, erläutert Scharf. Je höher und dichter der Bewuchs ist, desto besser ist auch die Dammleistung. Ist die Fassade allerdings bereits optimal wärmegedämmt, wirkt sich dieser Effekt geringer aus.

Mit dem wissenschaftlichen Zahlenwerk über Wärmestromnachweise mittels Wandtemperatursensormessungen lässt sich die Verbesserung des thermischen Komforts in der Stadt über Simulationsmodelle ermitteln. „Wir haben für die Stadt Duisburg virtuell auf 202.753 Quadratmeter Gebäudeoberfläche Dachbegrünungen installiert, Bäume gepflanzt sowie trog- und wandgebundene Fassadenbegrünungen eingebaut. Insgesamt begrünten wir lediglich fünf Prozent der Fläche, berechneten den Blattflächenindex und verglichen die Wirkungsleistung gesamt sowie nach Exposition“, erläutert Scharf. Das errechnete Ergebnis zeigt, dass Fassadenbegrünungen und Baumpflanzungen dort am effektivsten sind, wo viel Strahlung und viel Wind auftreffen. Die höchste Wirkungsleistung innerhalb der grünen Infrastruktur, verglichen über alle Klimaindikatoren, brachte die extensive Dachbegrünung, gefolgt von Bäumen in Südlage. Zudem erwiesen sich wandgebundene Fassadenbegrünungen effektiver in ihrer Kühlleistung als Kletterpflanzen.

Weitere Spielregeln und Resümee

Inzwischen gibt es einen Leitfaden für Brandschutz bei Fassadenbegrünungen. „Hier ist vor allem die geschossweise Brandabschottung sehr wichtig und mit diesem Leitfaden sind wir endlich raus aus der Grauzone“, erklärt Scharf. Fassadenbegrünungen müssen bewässert werden, und zwar bedarfsgerecht über eine Sensorsteuerung, nur dann funktionieren sie zuverlässig. Vor einer artgerechten Entwicklung stehen aber die fachgerechte Planung und Ausführung. Danach folgt die fachgerechte Pflege. „Sie ist unerlässlich für eine lange Lebensdauer der Fassadenbegrünung, egal um welche Art der Begrünung es sich handelt. Bäume, Fassadenbegrünungen und Dachbegrünungen müssen zukünftig zum Managementbestandteil der Energiekreisläufe von Städten werden, wollen wir das Schlimmste abhalten“, mahnt Scharf. Eine weitere wichtige Voraussetzung hierfür ist, das Niederschlagswasser vor Ort zu halten, denn Pflanzen sind die besten Verdunster, ohne Microchip und Strom.

Die nächste Generation rückt auf

Nick Burkhardt, Wirtschaftsingenieur und Neffe des Geschäftsführers Uwe Schönthaler ist mittlerweile Mitglied der Geschäftsleitung. Ihm obliegen die Bereiche Organisation und Verwaltung. Paul Ruess, der Sohn von Uwe Schönthaler, ist gelernter Landschaftsgärtner und seit einigen Monaten ebenfalls im Unternehmen. Er unterstützt zurzeit das Erdenwerk im Nordschwarzwald und wird Schritt für Schritt alle Abläufe in den einzelnen Niederlassungen kennenlernen.

Anfang 2021 erweiterte corthum sein Betriebsgelände um circa zwei Hektar am Standort Marxzell und vergrößerte so die Lagerkapazitäten, um für die Hochsaison ausreichend Rohstoffe und Ware bevorraten zu können. Auch im Herbolzheimer Erdenwerk „corthum Breisgau“ wurde die im Jahr 2014 eröffnete Niederlassung ausgebaut.

Des Weiteren ist corthum Nordschwarzwald seit dem 30. Januar 2020 Partner und Förderer des Naturparks Schwarzwald (Mitte/Nord). „Regionalität und nachhaltiges Denken und Handeln stehen für uns an erster Stelle. Gemeinsam mit dem Naturpark wollen wir uns in der Region noch stärker für diese Themen einsetzen“, erläutert Nick Burkhardt. Ergebnis dieser Kooperation ist mittlerweile eine gemeinsam entwickelte Erdmischung für das Anlegen von Wildblumenwiesen. Wenn es um die Erweiterungen von Grünflächen in den Kommunen des Naturparks geht, gibt es fachliche Unterstützung durch den corthum-Außendienst. Ein weiterer neuer Arbeitsbereich ist die Entwicklung neuer Substrate mit Blick auf die Klimaerwärmung. Dabei steht zurzeit die Verwendung von Pflanzenkohle/Aktivkohle als Substratzuschlagsstoff im Mittelpunkt. Ziel ist, die Substrate für die im Zuge des Klimawandels zunehmenden städtischen Herausforderungen, wie zum Beispiel Wasserspeicherung und Nährstoffversorgung, zu optimieren.