12. corthum-Fachseminar 2017 

 Vier Themen, vier Experten und jede Menge Fachwissen zu Baumwurzeln, Standfestigkeit, Baumsubstraten, blühenden Ideen für den urbanen Raum und Erfahrungen aus dem Projekt „Stadtgrün 2021″ bot das 12. corthum Fachseminar in Marxzell bei Pforzheim. Dieser jährliche Termin Mitte Februar ist inzwischen für viele Landschaftsarchitekten und Mitarbeiter aus Grünflächenämtern eine feste Größe, wenn es um aktuelle Fortbildung geht. Über 100 Teilnehmer nahmen jede Menge Anregungen und Innovationen für die Anwendung in der Praxis mit nachhause.

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Wurzeln: meist unsichtbar und deshalb gern vergessen 

Können Wurzeln Wasser suchen? „Nein, sie können es nicht, obwohl es ihnen immer wieder unterstellt wird“, erklärt Dr. Markus Streckenbach, Dipl.-Biologe und Sachverständiger für urbane Vegetation. Wurzeln orientieren sich hauptsächlich nach unten, folgen aber der Fließrichtung des Gieß- oder Niederschlagswassers, so wie die Äste dem Licht folgen. Bereits 0,2 Prozent Schwankung im Feuchtigkeitsgehalt der Bodenluft genügen, damit Wurzeln ihre Richtung ändern. Das Längenwachstum der Wurzel passiert nur an der Spitze, also kurz nach der Wurzelhaube, wo sie noch weich und hochflexibel sind. Sie können sich daher nirgends hineinbohren, wie beispielsweise Rhizome, sondern nur in bereits vorhandene Poren oder Risse hineinwachsen. Die urbanen Bodengegebenheiten sind für Wurzeln in der Regel wenig förderlich, ja eher feindlich. Häufig fehlt es an der nötigen Bodenfeuchte und an der Bodenluft, was nicht selten auf eine zu hohe Bodenverdichtung zurückzuführen ist. Die gängige Praxis bei der Herstellung von Leitungsgräben sieht dann laut Streckenbach häufig wie folgt aus: „Sand rein und verdichten, bis die Rüttelplatte springt.“ Wurzeln schlagen stets den Weg des geringsten Widerstandes ein, deshalb findet man sie gerne unterhalb von Leitungen, da hier keine Verdichtung stattfand. „So werden Leitungstrassen zu echten Wurzelhighways“, erklärt Streckenbach. „Sehr häufig sind zum Schutz der empfindlichen Wurzeln Handschachtungen ausgeschrieben. Wird man dann als Sachverständiger hinzugezogen, sieht man regelmäßig Gräben, die sauberer ausgekratzt sind als jeder Joghurtbecher und die ganz sicher nicht von Hand geschachtet wurden“, so der Sachverständige. Die Baumopfer nach einem Orkan, wo 70 bis 80 Tonnen Windlast auf die Baumkrone drücken, fördern immer wieder Überraschungen zutage: Keine Wurzelausbreitung durch den Blumentopfeffekt, stark gekappte Wurzelsysteme durch unsachgemäße Schachtungen und somit ein Verhältnis von Krone zu Wurzel, das schon lange kein gesundes Gleichgewicht mehr darstellt. 

Die Methode der Schweden

Ein 100 bis 150er Granitschotter dient bei diesen vor Ort gemischten Substraten als sogenannter Skelettboden, in welchen der Feinboden lagenweise eingeschlämmt wird. „Ich habe mir diese Bauweise in Stockholm angesehen. Durch die grobe Körnung wird die Last in den Boden abgetragen und so bleiben die für das Wurzelwachstum wichtigen Hohlräume dauerhaft bestehen. Eine Überverdichtung dieser Substrate, die vegetations- und straßenbautechnischen Ansprüchen zugleich genügen, ist nicht möglich“, erklärt Streckenbach. Die einzelnen Baumstandorte erhalten in diesen durchgehenden Wurzelräumen, die sich unter Gehwegen, Straßen oder Plätzen erstrecken, einen Unterbau aus Betonelementen. Kombinierte Belüftungs- und Bewässerungselemente aus Edelstahl dienen der Versorgung der Wurzeln mit Luft und Wasser. Über dem Substrat liegt ein Geotextil und erst ab dieser Lage beginnt der Wegebau, der keinerlei Einschränkungen unterliegt. Den Wurzeln steht somit der komplette Raum unter den versiegelten innerstädtischen Flächen zur Verfügung. „Da steckt unheimlich viel Know-how im Boden, das von oben nicht erkennbar ist. Daher sind die Abdeckkappen der Einlässe, über die auch Regenwasser in die Pflanzgruben gelangt, mit Blattsilhouetten verziert. Das ist wirklich eine gute Öffentlichkeitsarbeit der verantwortlichen Stellen. Die aufgeklärten Bürger wissen, was sich dahinter verbirgt und werden optisch daran erinnert“, erklärt Streckenbach. Was ihm des Weiteren bei den europäischen Nachbarn gefällt, das sind die kurzen Dreiböcke sowie die Gießsäcke, die das Stadtwappen von Stockholm tragen. Die Schweden arbeiten im Winterdienst zudem mit Kaliumformiat und nicht mit Streusalz. „Das ist zwar in der Anschaffung teurer, schädigt aber die Bäume nicht und reduziert die Unterhaltungskosten somit drastisch, weshalb sich eine Umstellung schnell rechnet“, erläutert der Biologe. Mit Streusalz kontaminierte Böden müssen in der Regel ausgetauscht werden, da viele moderne Standorte ein ausgiebiges Ausschwemmen des Salzes bauartbedingt nicht zulassen. 

In der Diskussion mit den Teilnehmern zeigte sich großes Interesse an der Stockholmer Lösung. Leider darf das Regenwasser in den wenigsten deutschen Städten in die Baumgruben abgeleitet werden, da es zum Spülen der Kanalschächte benötigt wird, so ein Kommentar aus dem Grünflächenamt in Heidelberg. „Hier ist in vielerlei Hinsicht ein dringendes Umdenken erforderlich“, so Johannes Prügl, Moderator dieser Veranstaltung. Seine Idee: Er möchte gerne die Diskussion um eine Bauweise 3 in der FLL beleben und Standards hierfür entwickeln, die beispielsweise den Feinboden auf die regionalen Bedürfnisse der Bäume einstellen und dann den ausschreibenden Stellen zur Verfügung stellen. 

Das Handbuch der schwedischen Kollegen in der deutschen Übersetzung gibt es als kostenloses Download mit allen relevanten Informationen unter: www.urbanevegetation.de/handbuecher

Blütenreiche Ideen für den urbanen Raum 

Stefan Eisenbarth, Leiter der Abteilung Grünflächen und Landschaftspflege bei der Stadt Rheinstetten, gewährt in seinem Vortrag einen bunten Einblick in die aktuellen Pflanzmaßnahmen. „Wir arbeiten in Rheinstetten seit einigen Jahren mit 14 unterschiedlichen Zwiebelmischungen auf über 500 Quadratmetern und haben aufgrund der längeren Gesamtblühdauer damit sehr gute Erfolge“, so Eisenbarth. Die Pflanzdichte beträgt 150 Zwiebeln pro Quadratmeter und diese Zahl bringt den gewünschten farbigen Knalleffekt. „Natürlich kann man auch nur mit 80 Zwiebeln auf den Quadratmeter arbeiten, aber die Farbenpracht ist dann viel abgeschwächter“, so der erfahrene Gärtner. „Wir haben ausgerechnet, dass uns beispielsweise eine Narzissenmischung circa 1,25 Euro pro Jahr kostet, wenn wir von 10 Standjahren ausgehen, was bei Narzissen kein Problem darstellt, da sich diese selbst vermehren. Tulpen sind dagegen nach fünf bis sechs Jahren verschwunden und müssen nachgepflanzt werden. Im Moment fahren wir Versuche mit Wildtulpen, in der Hoffnung, hier ähnlich gute Ergebnisse wie mit den Narzissen zu erzielen“, führt Eisenbarth auf. Das Setzen der Zwiebeln übernimmt eine Pflanzmaschine, die Eisenbarth inklusive Lohnarbeit anmietet. Sie bringt pro Stunde mit zwei Pflügen rund 11.000 Zwiebeln 15 Zentimeter tief in die Erde ein. „Das ist unschlagbar rentabel. Als Vorbereitung müssen die Flächen vorab lediglich gut gewässert sein, da sonst die Grasnarbe zusammenfällt. Auch das Pflanzen mit einer Hangmaschine funktioniert. Hier sollte man allerdings mit etwas Nacharbeit kalkulieren“, verrät Eisenbarth, der immer wieder selbst von der sich ändernden Farboptik in diesen Flächen begeistert ist. „Vor ungefähr acht Jahren haben wir mit Sommerfloransaaten an acht Standorten begonnen. Die Saatdichte beträgt bei uns sechs bis acht Gramm pro Quadratmeter, was eine gute Entwicklung der einzelnen Pflanzen gewährt und 3,50 Euro pro Quadratmeter an Kosten verursacht“, rechnet Eisenbarth vor. Tiefes Fräsen, zwei bis drei Wochen vor der Aussaat, gefolgt von einer oberflächlichen Bearbeitung mit der Motorhacke, ist als Bodenvorbereitung ausreichend. Darüber kommt das Mulchpapier mit einer Schicht intensivem Dachgartensubstrat. Die Aussaat erfolgt zusammen mit Quarzsand, der das Erkennen von Fehlstellen erleichtert. Anwalzen und feucht halten, so lautet dann das weitere Pflegeprogramm. „Wenn die Saat augenscheinlich nicht aufgeht, kann das nicht nur an mangelnder Feuchtigkeit, sondern auch am Appetit der Kaninchen liegen“, berichtet Eisenbarth aus Erfahrung. „Von Juni bis zum ersten Frost garantieren diese Flächen ein buntes fröhliches Treiben. Die Saatgutmischungen sind bei uns im Bürgerbüro erhältlich und unsere Infoveranstaltungen für erfolgreiche Eigenaussaaten erfreuen sich sehr großen Interesses bei den Bürgern und auch bei der Presse“, begeistert sich Eisenbarth. Die Halbwertszeit dieser Mischungen mit so klangvollen Namen wie Opera, Harmonie und Elegance ist allerdings gezählt, denn erfahrungsgemäß nimmt der Unkrautdruck nach fünf Jahren so zu, dass Eisenbarth diese Flächen für zwei bis drei Jahre sich selbst überlässt, bevor er sie erneut für eine Ansaat vorbereitet. Nach dem Abblühen werden die Streifen abgemäht und abgeräumt. Wer der Vogelwelt und den Insekten noch mehr Gutes tun möchte, lässt alles bis zum Februar stehen. Auch mit extensiven Staudenmischungen sammelt Eisenbarth seine Erfahrungen: „Wir verwenden bei der Sanierung nur noch das Staudensubstrat (30 cm Bodenaustausch), denn dieses reduziert unsere Pflegekosten erheblich. Eine Kombination mit Geophyten ist ideal, denn das verfrüht den Blühzeitpunkt und das abtrocknende Laub der Zwiebeln wird von den Stauden überdeckt“, so Eisenbarth, der sich immer wieder gerne mit der Rheinstettener Blütenpracht an Wettbewerben, wie beispielsweise bei „Mehr Natur im Siedlungsgrün“ vom NABU Baden-Württemberg, erfolgreich beteiligt hat. 

Wenn Bäume stürzen

Wie standfest ist der Baum noch? Diese eigentlich alles entscheidende Frage zu klären, ist nicht einfach, da vor allem der für diese Abschätzung notwendige Zustand der Wurzeln nicht einsehbar ist. Forstassessor Mark Pommnitz, geschäftsführender Gesellschafter des Sachverständigenbüros Leitsch in Nauheim, berichtet in seinem Vortrag sehr eindrücklich über die tatsächlichen Möglichkeiten der Beurteilung. Manches bleibt Wahrsagerei und die kann sehr teuer und gefährlich werden. Dabei steht immer ein strenges Abwägen zwischen der Bewahrung von Stadtgrün und der Vermeidung von Personen- und Sachschäden im Mittelpunkt. 

„Die Beschädigung wichtiger Wurzeln oder der Entzug von Sauerstoff durch zu starke Verdichtungsmaßnahmen bei Arbeiten im Wurzelradius von Stadtbäumen sind häufig die Verursacher „plötzlicher“ Baumstürze“, erklärt Pommnitz. Viel zu selten werden solche Baumaßnahmen von dendrologischen Sachverständigen begleitet und in der Regel gibt es auch keine aussagekräftige Fotodokumentation von der Baumaßnahme. „Doch genau das wäre später sehr hilfreich bei der Beurteilung der Standfestigkeit“, so Pommnitz. Dem Baumschutz in der Stadt muss eine viel höhere Bedeutung zugemessen werden. Die Aufklärung der Mitarbeiter in den Tief- und Straßenbauämtern, aber auch in den ausführenden Firmen wäre mehr als wichtig, um endlich für das wertvolle Stadtgrün zu sensibilisieren. Damit einhergehend sind solche Baumaßnahmen entsprechend mit Saugbagger sowie der fachlichen Begleitung durch einen Baumsachverständigen auszuschreiben – so der Wunsch und leider nicht die Praxis. Die DIN 18920 regelt klar, dass es verboten ist, im Bereich von 1,5 Metern unter der Krone nach allen Seiten Boden abzutragen. Nur ausnahmsweise kann der Abstand verringert werden. Kommt es aufgrund von solchen Eingriffen zu einem Versagen des Baumes, so haftet der Verursacher. Dies gilt auch bei der Ausführung durch Privatfirmen, so die Kommune fehlerhaft ausgeschrieben hat. Ist ein Baumsturz auf das Versagen von Baumschutzmaßnahmen in der Vergangenheit zurückzuführen, haftet die Kommune ebenfalls. Das folgt unter anderem aus einem Urteil des Oberlandesgerichtes in Düsseldorf (2007). Größte Sorgfalt bei Erdarbeiten im Bereich von Stadtbäumen ist somit angesagt, denn als Baumeigner ist die Kommune immer in der Verkehrssicherungspflicht. „Bei Kanalsanierungen hatten die Arbeiter nach eigenen Angaben keine Baumwurzeln gefunden, die sie hätten schützen können. Das regte aber leider nicht zum Nachdenken an. Auf die Idee, dass diese wohl schon bei vorhergehenden Arbeiten gekappt wurden, kam niemand“, zitiert Pommnitz einen veröffentlichten Gerichtsfall, in welchem Haftungsansprüche auch Jahre nach der Baumaßnahme zugesprochen wurden. Allein durch die Betrachtung des oberirdischen Zustandes eines Baumes eine Aussage über seine tatsächliche Standfestigkeit zu machen, ist fahrlässig“, so sieht es jedenfalls der Fachmann. „Auch Baumkontrolleure haben keinen Röntgenblick für den Wurzelraum“, bedauert der Forstassessor. Oft werden die Schädigungen durch Boden- und Baugrundverdichtungen, verletzte oder gekappte Wurzeln, Bodenbewegungen und vieles mehr erst nach Jahren am Baum selbst erkennbar. Sind Beschädigungen am Stammfuß oder Wurzelanlauf wie beispielsweise Höhlungen, Pilzbefall, Rindenschäden, Risse, Stockaustriebe oder Wuchsanomalien sichtbar, wird jeder Baumsachverständige sofort „hellhörig“. Auch Bodenaufwölbungen oder Bodenrisse sind meist eindeutige Zeichen, dass hier nicht alles in Ordnung ist. Kommen dann noch Veränderungen im Baumumfeld durch Baumaßnahmen hinzu, ist äußerste Vorsicht geboten. “Wir Sachverständige gehen wirklich mit offenen Sinnen an die Gutachten heran, doch rein visuelle Kontrollen können naturgemäß Schäden im Wurzelbereich nicht bewerten“, erläutert Pommnitz. Weitergehende Untersuchungen wie der Zugversuch, der die Stand- und Bruchsicherheit bewertet, ist das einzige Verfahren, um die Standsicherheit abzuschätzen. „Das ist allerdings bei einem Preis von rund 800,00 Euro netto kein Massenuntersuchungsverfahren. Oft ist es auch nicht mit einer Einzeluntersuchung getan. Niemand weiß, mit welcher Geschwindigkeit sich welcher Pilz in welchem Baum entwickelt, so er sich Eintritt durch Wurzelschädigungen verschafft hat.“ Pommnitz plädiert für die Aufklärung der zuständigen Mitarbeiter bei den Kommunen über die Folgekosten und betriebswirtschaftlichen Konsequenzen entsprechender Eingriffe. Dafür muss man auch mal ein weißes Hemd anziehen und gut aufgearbeitete Kalkulationen präsentieren. „Erst durch dieses Auftreten gewinnt man die Aufmerksamkeit dieser Personen. Und wenn man dann beim Vorrechnen der Kalkulation, angefangen bei der standortgerechten Baumauswahl und der notwendigen Jungbaumpflege, bei den teuren Sondermaßnahmen in Form laufender Kontrollen oder Schnittmaßnahmen als Zusatzkosten angelangt ist, hat man spätestens die volle Aufmerksamkeit.“ Bäume bereits im Alter von 30 Jahren zu verlieren, ist ein Armutszeugnis. „Bei einer fachlichen Baubegleitung gibt es in 95 Prozent der Fälle eine technische Lösung, wie beispielsweise ein Punktfundament, damit der Baum bleiben kann und in seiner Existenz nicht gefährdet wird“, so Pommnitz Erfahrungen, der größten Wert darauf legt, den betriebswirtschaftlichen Faktor einer dendrologischen Baubegleitung aufzuzeigen. Der effektivste Schutz von Bäumen erfolgt bereits in der Planung. „Das Grünflächenamt in Frankfurt scheut sich mittlerweile nicht mehr, von Investoren eine Kaution für den Fortbestand der von der Baumaßnahme betroffenen Bäume über einen zehnjährigen Zeitraum zu fordern“, erzählt Pommnitz, für den diese Art von Maßnahmen den Weg der Zukunft anzeigen. 

FLL-Baumsubstrate: Befreiungsschlag für die Wurzeln? 

Bäume aus der Baumschule haben meist schon Standorte in verschiedensten Böden erlebt. Das Beschneiden ihrer Wurzelsysteme, was in der Regel beim Verschulen und späteren Ballieren passiert, zieht laut Josef V. Herrmann, Agrarbiologe und Leiter des Fachzentrums Analytik an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim, tiefreichende Veränderungen der Wurzelstrukturen nach sich. Ballenware besitzt eine völlig andere Wurzelarchitektur als die in der Natur gewachsenen Vertreter ihrer Art. „Ist man als „Ballenarchäologe“ unterwegs, findet man die merkwürdigsten Gebilde, die unter dem Namen Wurzelballen laufen“, erklärt Herrmann. Deformierte Wurzeln, wie beispielsweise Zirkularwurzeln, die bei zu langen Standzeiten im Container auftreten, sind kaum mehr in der Lage, weitstreichende Wurzelsysteme zu entwickeln, um sich die Baumgrube zu erschließen. „Dies muss man einfach wissen“, so Herrmann. 

Alle drei FLL-Baumsubstrate, die im laufenden Projekt „Stadtgrün 2021″ zum Einsatz kamen, zeigen eine sehr gute Durchwurzelungsintensität. Bislang standen bei den Baumsubstraten die Einflüsse der mineralischen und organischen Komponenten auf die Nährstoffgehalte, die Nährstoffdynamik und die Baumernährung hinter den physikalischen Eigenschaften zurück, weshalb die momentan laufenden Untersuchungen im Projekt „Stadtgrün 2021″ eine besondere Bedeutung haben. Baumsubstrate stellen den Baum immer vor eine neue Situation: Sie sind keine natürlich gewachsenen Böden und sie verhalten sich deshalb auch anders. Die zuverlässige Analyse ihrer organischen Masse ist recht kompliziert, denn die gängigen Verfahren sind auf natürliche Böden und gärtnerische Kultursubstrate mit sehr hohe Anteilen an organischen Stoffen ausgerichtet. Im Jahr 2014 wurden alle Bäume des Projektes „Stadtgrün 2021″ an allen Standorten mit Hornmehl gedüngt. Obwohl sich die Nährstoffgehalte, insbesondere die Stickstoffgehalte in den Substraten, aus dem Blickwinkel der gärtnerischen Praxis auf einem geringen bis sehr geringen Niveau bewegten, wuchsen die Bäume baumartspezifisch gut bis sehr gut und zeigten keinerlei Mangelsymptome. Auch im Vergleich der Blattanalysen der gedüngten und nicht gedüngten Bäume konnten keine substanziellen Effekte nachgewiesen werden. „Aus diesen Werten ist allerdings keine Empfehlung für die Düngung von Bäumen ableitbar“, bedauert Herrmann. Überhaupt sei ihm klar geworden, wie wenig tatsächliches Wissen man über den Ernährungskreislauf von Bäumen habe und wie begrenzt die derzeitigen Analyseverfahren die vielfältigen Beziehungen zwischen den Substratkomponenten, den Bodenorganismen (Rhizosphäre) und den Baumwurzeln in Bezug auf die Baumernährung abbilden. Wurzelexsudate füttern die Mikroorganismen in der Rhizosphäre, die sich wiederum mit Nährstoffkomplexen und weiteren Wirkstoffen beim Baum revanchieren. Viel zu wenig erforscht ist zudem der Eintrag von Stickstoff über das Regenwasser. Können Bäume Nitrat und Ammonium aus der Luft und dem Niederschlagswasser aufnehmen? „Im Prinzip nein, aber manchen Arten scheint es dennoch möglich“, so Herrmann. Ebenso gibt es Bäume, wie beispielsweise die Pappel, die sich über Stickstoff bindende Mikroorganismen in der Sprossachse den Luftstickstoff verfügbar machen. Bei anderen Arten wurden Luftstickstoff bindende Bakterien auf der Blattoberfläche nachgewiesen. Was hier wirklich im Detail abläuft, auch aufgrund der beispielsweise 30 bis 40 verschiedenen Mykorrhiza-Pilzpartner, die die Pflanzen zum Teil bereits aus der Baumschule mitbringen, analysiert keines der im Moment zur Verfügung stehenden chemischen Verfahren. Doch das alles gehört zur Baumernährung. Herrmann ist eher dafür zu gewinnen, einen jungen Baum nicht an die „Dünger-Infusion“ zu hängen. Der von ihm angeführte Grund: „Große Zuwächse an der Krone benötigen auch ein ausbalanciertes Wurzelwachstum und das ist bei Straßenbäumen und ihrem Umfeld in diesem Maße selten möglich. Dennoch wurde der Aspekt des Humus in den Baumsubstraten auch aus meiner Sicht viel zu lange vernachlässigt“, so der Analytiker. „Viele Substrathersteller sind deshalb auf der Suche nach neuen Humusstoffen, wie beispielsweise „Biokohle“. Doch ist der hohe Anteil an Kohlenstoff auch tatsächlich pflanzenverfügbar? „Wir müssen das Fenster weiter aufmachen, da wartet noch extrem viel Wissen auf uns“, ist sich der Agrarbiologe sicher, der an dieser Stelle gerne Moshe Feldenkrais zitiert: „Erst wenn Sie wissen was Sie tun, können Sie tun, was Sie wollen“. Die Diskussionen, die von Johannes Prügl, Bodeninstitut Prügl in Au in der Hallertau, kompetent moderiert wurden, zeigten, wie viel Interesse an diesen Themen in den Kommunen, aber auch bei den Landschaftsarchitekten besteht. „Das ist für mich der Antrieb, dieses Seminar weiterhin anzubieten, denn für uns ist es wichtig, unsere Kunden mit höchster Fachkompetenz und neuen Entwicklungen aus der Praxis, aber auch aus der Wissenschaft zu informieren“, freut sich Uwe Schönthaler, corthum-Geschäftsführer. 

Bildunterschriften: 

Wurzeln, Abbildung 1: 

Die Wurzeln dieser jungen Pappel wuchsen zunächst nach unten, folgten dann jedochdem horizontal verlaufenden Wasserstrom. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 2:

Das einwachsen von Wurzeln in Rohrverbindungen funktioniert nur, weil die Rohrverbindungen die Möglichkeiten dazu bieten. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 2, alternativ:

Beim Einwachsen in Rohrverbindungen werden Wurzeln dünn wie ein Blatt Papier und in den Leitungen dann wieder drehrund. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 3:

Hoch verdichtet, nährstoffarm, versiegelt und staubtrocken -ein typischer Boden im Gehwegbereich, der den meisten Straßenbäumen als Lebensgrundlage dienen soll. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 4:12 

„Saubere Arbeit“: Obwohl der Schutzabstand zum Baum deutlich unterschritten ist, wurde absolut jede statisch relevante Wurzel entfernt. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 5:

Dieser groß gewachsene Silber-Ahorn konnte einem Orkan nicht standhalten. Ein Blick auf den herausgehobenen Wurzelballen lässt erahnen, dass dieser Baum in der Hauptsache durch sein Eigengewicht gehalten wurde. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 6:

Pflanzgrubenbauweise in der Stadt Stockholm. Im Vordergrund ist das Stützkorn und die darauf liegende Schotterschicht zu erkennen. Im Hintergrund die Baumstandorte mit den Betonfundamenten. Foto: Ö. Stål.

Abbildung 8a:

Das Ausgangsmaterial für die Pflanzgruben in der Stadt Stockholm bildet ein Granitbruch mit einer Körnung von 100-150mm. Foto: Ö. Stål.

Abbildung 8:

Ein baumbestandener Radweg in der Stadt Stockholm wird saniert. Zunächst erfolgt ein Aushub des alten Substrates, danach wird das Stützkorn und der Feinboden eingebracht. Foto: Ö. Stål.

Abbildung 8b:

Auf den so hergerichteten Wurzelraum wird eine Lage Schotter aufgetragen und dieser anschließend planiert. Die Baumstandorte (links im Bild) erhalten keine Unterkonstruktion. Foto: Ö. Stål.

8c: 

Den Abschluss bildet eine Juteauflage, die mit einer wassergebundenen Wegedecke für den hier verlaufenden Radweg abgedeckt wird. Foto: Ö. Stål.13 

8d: Die Anlage nach der Fertigstellung. Die hier gepflanzten Linden werden halbhoch mit einem klassischen Dreibock angebunden und in den ersten drei Jahren über Gießsäcke bewässert. Foto: Ö. Stål.

Abbildung 9:

Der Überbau dieser Baumscheibe ist gestalterisch womöglich wertvoll, der Pflege des Wurzelraumes jedoch abträglich. Ein durchdringendes Spülen des hochgradig salzbelasteten Pflanzsubstrates ist hier ausgeschlossen. Foto: M. Streckenbach.

Abbildung 10:

Während der ursprüngliche Wert des umgebenden Stadtmobiliars mit der Zeit abnimmt, wächst jener des hier gepflanzten Tulpenbaumes in den kommenden Jahrzehnten um ein vielfaches an. Die Ausgaben in die Platzgestaltung schlagen einzig negativ zu Buche. Die Investitionen in den Wurzelraum einer Baumpflanzung amortisieren sich dagegen rasch. Foto: M. Streckenbach.